Eine spielerische Grundhaltung rettet unsere Innovationskraft: Darum sollten wir im Arbeitsalltag miteinander spielen
Break Through Innovations und Innovationskraft sind das, worauf die meisten Unternehmen heutzutage (oft vergeblich) hoffen. Dabei übersehen sie, dass es ihnen an wesentlichen Zutaten mangelt: Kreative MitarbeiterInnen, die ihr Potential entfalten und über sich hinauswachsen.
Unsere leistungsgetriebene Gesellschaft hat sich Kreativität und individuelle Potentialentfaltung durch die Entwicklungen der Industrialisierung abtrainiert. Stattdessen waren Routinetätigkeiten effizient und möglichst schnell auszuführen. Nun, in der VUKA -Welt, sind Unternehmen jedoch wieder auf MitarbeiterInnen angewiesen, die "outside the box" denken, um komplexe Probleme zu lösen.
Eine Lösung ist das Spiel: Die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren und zu erfahren, ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Die daraus (zurück-)gewonnenen Fähigkeiten sind eine Antwort auf die sich ständig verändernde Welt, die nach einer fortlaufenden Anpassung oder Erweiterung unseres Mindsets verlangt.
Nachfolgend wird die Geschichte des Spiels und die Verdrängung aus unserer Gesellschaft beleuchtet, der Stellenwert der Rückgewinnung und die praktische Umsetzung anhand eines Beispiels und den zugrundeliegenden neurowissenschaftlichen Grundlagen diskutiert.
Die Geschichte des Spiels
Platon und andere antike Philosophen sinnierten bereits über den Stellenwert des Spiels für die volle Entfaltung des Menschen. Die Abrahamischen Religionen und die Entwicklung der Gesellschaft zu einer Leistungsgesellschaft verdrängten das Spiel jedoch mehr und mehr.
Feinfühlige Denker wie Friedrich Schiller erkannten diese Bedrohung des Humanen und kritisierte diese Entwicklungen: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff "Homo ludens" geprägt. Dieser beschreibt ein Modell, wonach der Mensch seine kulturellen Fähigkeiten über das Spiel entwickelt. Im Spiel entdeckt und erprobt ein Kind seine individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten im Kontext der äußeren Welt und formt seine Persönlichkeit über die Erfahrungen, die es macht. In diesem Konzept werden Kreativität und Phantasie betont.
Dem gegenüber steht das Konzept des "Homo faber": der "arbeitende, handwerklich tätige" Mensch, der seine Welt über zweckgerichtete, systemisch aufgebaute "Spiele" erfährt, d.h. er erschafft und erfindet Werkzeuge, um seine Umwelt zu verändern. Durch die wirtschaftliche Orientierung steht er dem "Homo oeconomicus" sehr nahe.
Was ist (k)ein Spiel?
Spielen bedeutet Ausprobieren - Erfahren, ohne gezwungen zu sein, eine gewisse Leistung oder ein Ergebnis zu erzielen. Ein Spiel ist dann ein Spiel, wenn Gefühle von Freiheit, Verbundenheit und Darstellung zum Ausdruck kommen. Außerdem ist es vielfältig in seiner Art: Es kann ein Geschicklichkeitsspiel, ein Gedankenspiel, ein Wettkampf, ein Schauspiel etc. sein. Wichtig sind nur die Abwesenheit von Zwang und die Unschuldigkeit des Spiels an sich.
Im Umkehrschluss handelt es sich nicht um ein Spiel, wenn es um den Output geht, wenn Konsum und nicht Teilnahme im Mittelpunkt steht, wenn freie Erfahrungen eingeschränkt werden, wenn der Mensch zum Objekt gemacht wird und wenn der Spieler eigentlich ein Spielverderber ist, weil es ihm insbesondere um Macht und Geld geht.
In einer ebenso effizienz- wie wachstumsorientierten Gesellschaft kommt man schnell zu dem Schluss, dass wenn Spielen keinen Zweck erfüllt, es verschwendete Zeit sei. Doppelten Gewinn würde man doch erzielen, wenn man den Spaß des Spiels mit dem Zweck des Geldverdienens verbindet: Der Spielplatz wird zum Marktplatz. Der "Homo ludens" wird vom "Homo faber"/ "Homo oeconomicus" abgelöst. Doch dann ist es eben kein Spiel mehr und die Vorteile eines echten, freien Spiels (s. o.) gehen verloren. Genau das passiert in der Fußball-Bundesliga, in Casinos oder bei den meisten Online-Spielen.
Der wiederkehrende Stellenwert des Spiels im 21. Jahrhundert
In Zeiten der Industrialisierung konnte bzw. wollte die Gesellschaft auf die Potentialentfaltung der Individuen, die durch das Spiel gefördert werden, gut verzichten. Doch jetzt, wo Digitalisierung und VUKA Einzug halten und Routinetätigkeiten von Algorithmen übernommen werden, ist unsere Gesellschaft auf Problemlösefähigkeiten, Kreativität, Empathie, Sozialfähigkeiten etc. angewiesen. Diese Fähigkeiten werden im Spiel erlernt und gefördert. Der Erfinderreichtum des Homo Faber reicht nicht mehr aus.
Maßgebliche Innovationen, die die unternehmerische Marktposition ausbauen, können nur durch Menschen erzielt werden, die spielerisch denken: Menschen, die sich in ihrem Denken nicht auf einspurigen Autobahnen bewegen, eingeschränkt von Regeln und Strukturen. Es scheint allerdings so, als wären diese Menschen nur noch schwer zu finden. Aus diesem Grund sollten Arbeitgeber dafür sorgen, dass das Spiel seinen Weg zu den Arbeitsplätzen findet, damit echte Innovationen entwickelt werden können.
Das Comeback des Spiels, die "ludische Wende", hat bereits begonnen: Spielerische Elemente finden sich beispielsweise in modernen Managementschulungen oder Kreativitätstechniken (z. B. Design Thinking).
Spielen im Arbeitsalltag
Der Trend ist also da. Spiele im Business-Kontext werden unter Namen wie Agile Games, Business Games, Serious Games, xDiscovery Games [Eigenname FAKTOR D consulting] o. ä. immer beliebter.
Die konkreten Ziele, die sie verfolgen (sollten), sind folgende:
1. Innerhalb des Spiels: Eine angstfreie Zone schaffen und den SpielerInnen helfen, neue Horizonte und Perspektiven zu entdecken, ihr Potential zu entfalten, Co-Kreativität erleben und sozialen und individualen Bedürfnissen nachzukommen.
2. Nach dem Spiel: Langfristig versprechen diese Spiele eine Integration der spielerischen Grundhaltung, eine Anpassung des Mindsets, eine Steigerung der emotionalen Intelligenz, Mut, Selbstvertrauen, Commitment, eine verbessere Unternehmenskultur und im besten Falle Potentialentfaltungen und Innovationsfähigkeit.
Damit die o. g. Zielerreichung gelingt, müssen InitiatorInnen verstehen, was ein echtes Spiel ist, und es bedarf einer versierten Moderation. Beispielsweise darf das Spiel nicht zu reglementiert sein, es sollte für ein angstfreies, offenes Umfeld gesorgt werden und der Output muss vor Spielbeginn unbestimmt sein.
An dieser Stelle ist die Abgrenzung zu "Gamification" zu erwähnen: Gamification beschreibt die Übertragung spielerischer (Design-)Elemente in einen nicht-spielerischen Kontext, um positive Effekte wie z. B. gesteigerte/n Motivation, Lernerfolg oder Kundenbindung zu erzielen. Gamification führt aber noch nicht zu den o. g. Zielen und Effekten.
Praktische Umsetzung
1. Zeitlicher Aufwand und Frequenz: Spiele im Arbeitsalltag können wenige Minuten und bis zu mehreren Tagen andauern. Sie sind in lediglich dazu angesetzten Workshops, Team Building Aktivitäten, in regelmäßigen Meetings oder Retrospektiven einsetzbar.
2. Anwendungsbereiche: Abhängig von den Interessen der SpielerInnen können Spiele aus den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen ausgewählt werden: Arbeitsweisen und -Prinzipien, Problemlösefähigkeiten, Kommunikation, Kollaboration, Leadership, Vision etc. Wichtig ist, dass die Freiheitsgrade möglichst groß sind. Auch in spezifischen (Problem-)Situationen können Spiele ein geeignetes Instrument sein, um neue Perspektiven einzunehmen oder verschiedene Lösungsalternativen zu entwickeln und erforschen.
3. TeilnehmerInnen: Das TeilnehmerInnen-Setting ist vollkommen flexibel. Abhängig von dem Anwendungsbereich und des vom Spiel zu behandelndem Thema, kann es z. B. Sinn machen, TeilnehmerInnen aus einem oder mehreren Teams einzuladen, ein Spiel im Führungskreis oder über verschiedene Hierarchieebenen hinweg zu initiieren oder mit kleinen bzw. großen Gruppen zu planen.
Abhängig von dem gewünschten Anwendungsbereich, dem TeilnehmerInnenkreis und der zur Verfügung stehenden Zeit, wählt der/die ModeratorIn ein Spiel aus einer umfangreichen Sammlung.
"Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennenlernen als in einem Gespräch in einem Jahr." Platon
Beispiel "Fearless Journey"
Um den Praxiseinsatz noch verständlicher zu machen, ein Beispiel:
Ein Softwarehersteller steht aktuell vor der Herausforderung, dass Schnittstellen zu vorhandenen Systemen individuell entwickelt werden müssen und es keine Standards gibt.
Mithilfe von xDiscovery Games sollte das Team unterstützt werden, eine neue Entwicklungsstrategie zu entwerfen.
Die Wahl fiel auf "Fearless Journey", einem Strategiespiel, bei dem es darum geht, den Weg zum Ziel zu pflastern und dabei Hürden mithilfe von Lösungsstrategien zu überwinden.
Ablauf:
1. Gemeinsam definieren wir "SMART" das Ziel und bestimmen außerdem die Ausgangssituation. Beides wird jeweils auf eine Karte geschrieben, die mit ausreichend Abstand auf einem Tisch platziert werden.
2. Jeder Spieler schreibt mögliche Hindernisse auf dem Weg zum Ziel auf, die auf einem Stapel gesammelt werden.
3. Jede Person bekommt Strategiekarten auf die Hand.
4. Eine Person zieht eine Weg- und eine Hinderniskarte, die aneinandergelegt werden (auf dem Weg zwischen Start und Ziel, siehe Punkt 1).
5. Hindernisse werden gemeinsam mithilfe der sich auf den Händen befindlichen Strategiekarten gelöst und beiseitegelegt.
6. Zurück zu Punkt 4 bis das Ziel erreicht ist.
7. Gemeinsame Reflexion des Spiels und Übertragbarkeit in die Praxis, Definition nächster/ erster Schritte.
Im Ergebnis berichtete das Team von "erweiterten Perspektiven", "neuen Herangehensweisen", "vielen Denkanstößen", "neuen Methoden zur Problemlösung" und einem "Motivationsschub", sodass im Anschluss, basierend auf den Spielergebnissen ein Projekt zur Entwicklung eines sog. "Schnittstellen Marketplace" initiiert wurde.
Grundlage: Neurologische Betrachtung des Spiels
Warum fördert Spielen Fähigkeiten wie Kreativität und Empathie?
Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist das Spiel im Erbgut aller Lebewesen verankert. Wir können spielerisches Verhalten leicht bei Hunden oder Katzen erkennen und ebenso bei Kindern. Kinder entdecken ihre Welt durch das Spiel. Sie aktivieren ihr Belohnungssystem, wenn ihnen etwas gelingt oder sie Inkohärenzen lösen. Das hat wachstumsstimulierende Auswirkungen auf die Neuvernetzung von Synapsen und die Verankerung von Informationen.
Was den Menschen vom Tier unterscheidet und dadurch den Stellenwert des Spiels noch einmal mehr unterstreicht, ist die Tatsache, dass das das menschliche Gehirn plastisch und nicht "vorprogrammiert" ist wie das der meisten Tiere: Der Mensch lernt (nachhaltig) bzw. knüpft neue Verbindungen, wenn Freude bzw. Emotionen und Informationen zusammentreffen. So wie es in jedem echten Spiel passiert.
Fazit
Unser Zeitalter verlangt nach einer fortlaufenden Anpassung und/oder Erweiterung unseres Mindsets.
Spiele, in denen echte Freiheit und Verbundenheit zu erfahren sind, können der Hebel für sprungartige Entwicklungen, Entfaltung und Innovationskraft sein. MitarbeiterInnen haben die Möglichkeit, sich selbst und ihre KollegInnen neu zu erfahren, sich auszuprobieren, zu erforschen und kreativ zu sein.
xD möchte Unternehmen ermutigen, sich von alten Werten zu lösen und das Spiel in den Arbeitsalltag zu integrieren. Dabei ist insbesondere bei der erstmaligen Einführung auf eine versierte Anleitung zu achten, die dafür sorgt, dass das Spiel nicht instrumentalisiert wird, frei ist und somit sein Ziel nicht verfehlt.
Wenn ein Unternehmen es schafft, eine authentische, spielerische Grundhaltung in der Unternehmenskultur zu verankern, gewinnt es Innovationsfähigkeit, die Fähigkeit zu nachhaltigem Lernen und verbessert hierdurch sogar Kollaborationsfähigkeiten und Mitarbeiterzufriedenheit.
Referenzen
Bleß, M., & Wagner, D. (2019). Agile Spiele - kurz & gut: Für Agile Coaches und Scrum Master. O'Reilly.
Böhmer, C. (2022). Agile Games: Das Spielebuch für agile Trainer, Coaches und Scrum Master. BusinessVillage GmbH.
Hartmann Preuß, D. (2011). Fearless Journey. Abgerufen von https://fearlessjourney.info.
Hüther, G., & Quarch, C. (2016). Rettet das Spiel!: weil Leben mehr als Funktionieren ist. Carl Hanser Verlag GmbH Co KG.