Cloud Computing hat gerade die zweite Welle durchschritten – die Nutzung von Cloud Services sei ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Digitalisierung von Unternehmen. Die Hyperscaler Amazon, Google, Microsoft und Co. haben enorme Wachstumsraten. Für IT-Organisationen, die diese Services in starkem Maße nutzen, zeichnen sich auf allen Ebenen Paradigmenwechsel ab. Betriebsmodelle verändern sich, Prozessmodelle ebenfalls. Es wird diskutiert, ob eine zentrale IT-Organisation in diesen Zeiten überhaupt noch Sinn macht oder ob diese langfristig durch IT-affine Fachkräfte in den Business Lines der Unternehmen ersetzt wird. Die Frage nach den anstehenden Veränderungen durch die Cloud Transformation lässt sich rein analytisch schlecht lösen. Sinnvoller ist es, modellhafte IT-Organisationen zu betrachten und diese mit der traditionellen IT zu vergleichen. Alex Bierhaus CTO und Geschäftsführer der COMPEON GmbH hat die IT-Organisation eines digitalen Unternehmens aufgebaut. Er entschied sich dafür, kein eigenes Rechenzentrum und keine eigene zentrale Infrastruktur zu nutzen. Stattdessen setzt er in seinem Ansatz voll auf Cloud Services. Wie seine IT funktioniert, worin die Unterschiede zu klassischen Lösungen liegen und welche Vorteile sich daraus für sein Unternehmen ergeben, zeigt das folgende Interview.
Das Digitale Unternehmen – COMPEON GmbH
OJ: Alex, die COMPEON GmbH ist ein junges Unternehmen im Finanzbereich. Ihr seid ein sogenanntes FinTech und habt eine Plattform für die Kreditvermittlung aufgebaut. Kannst Du mir genauer schildern, was COMPEON macht und wie Euer Geschäftsmodell funktioniert?
AB: Gern. Wir suchen und finden für gewerbliche Kunden, meist kleine und mittelständische Unternehmen (KMU,) die beste Finanzierungslösungen. Als Vermittler arbeiten wir mit mehr als 220 Banken zusammen und vergleichen die Konditionen von unterschiedlichen Finanzierungsanbietern. Da wir den Vergabeprozess digitalisiert haben, machen wir das mit einer hohen Geschwindigkeit und sind beispielsweise in der Lage, Finanzierungen in der Größenordnung von 300.000 EUR innerhalb von 24 Stunden unterschriftsreif an den Kunden zurückzuspielen.
OJ: Seid Ihr selbst eigentlich auch eine Bank?
AB: Nein. Wir sind reine Vermittler. Die Finanzierung selbst, das eigentliche Bankgeschäft, ist nicht Teil unseres Geschäftsmodells.
Die Aufgaben der IT
OJ: Eine der wohl bekanntesten digitalen Plattformen ist UBER. Über UBER hört man, dass von den 2000 Mitarbeitern etwa 90 % in der IT arbeiten und die anderen 10 % im Marketing. Das klingt für mich nach einem interessanten Prototyp für die Organisation von digitalen Unternehmen. Wie muss ich mir dieses Verhältnis bei COMPEON vorstellen – wie setzt sich Eure Belegschaft zusammen?
AB: Aktuell sind wir etwa 100 Mitarbeiter. Davon arbeiten etwa ein Drittel in meinem Bereich, in der IT. Ein weiteres Drittel sind Firmenkundenberater, die über das notwendige Knowhow und Hintergrundwissen in Finanzierungsfragen verfügen und Kunden entlang des digitalen Prozesses bei fachlichen Fragen unterstützen. Das letzte Drittel deckt weitere Funktionen wie Marketing, Betreuung von Kooperationspartnern, Operations und Human Resources ab.
OJ: Mit etwa einem Drittel der Belegschaft in der IT habt Ihr den gleichen Anteil in der IT wie z. B. die Deutsche Börse, die sich ja selbst auch als einen (Finanz)Technologiekonzern bezeichnet. Was ist der Grund für den hohen Anteil der IT? Werden weniger Mitarbeiter außerhalb der IT benötigt, weil Ihr ein digitales Unternehmen seid. Was ist Deine Einschätzung?
AB: Durch die Digitalisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen benötigen wir wenig Personal zur Durchführung des eigentlichen Vermittlungsgeschäftes. Unser Umsatzvolumen pro Berater ist somit überdurchschnittlich hoch. Die IT trägt eine große Verantwortung. Wir entwickeln unsere Plattform komplett selbst und greifen nur im Bereich CRM auf Standardprodukte zurück. Die Verantwortung für die Ausgestaltung der digitalen Geschäftsprozesse liegt deshalb auch in der IT-Abteilung. Für das, was mein Team leistet, ist es eher schlank aufgestellt.
OJ: Jetzt wird es für mich als IT-Management-Berater spannend. Die Prozesse werden also nicht vom Fachbereich entwickelt, sondern von Euch definiert und direkt in den „Code“ gegossen?
AB: Alle Mitarbeiter aus allen Bereichen arbeiten interdisziplinär am Produkt. Der Fokus unserer Tätigkeit liegt auf der Interaktion mit unseren Kunden, um diese – Neukunden eingeschlossen - bestmöglich zu unterstützen. Auch dieses findet digital statt. Sobald Du beispielsweise auf unsere Webseite gehst, Dich bei uns anmeldest und uns Dein Okay gibst, analysieren unsere Systeme was Dich und Dein Unternehmen interessiert. Daraus können wir ableiten, welche Unternehmen an welchen Angeboten am meisten interessiert sind. Als Folge können wir den Kunden, zum Beispiel über spezifischen Content, passgenau, automatisiert und auf digitalem Wege ansprechen. Diese Mechanismen und Geschäftsprozesse sind Kernaufgaben meines Teams.
OJ: Was sind die weiteren Kernaufgaben? Sicher zählen hierzu die Entwicklung der Plattform sowie der Betrieb der zentralen und dezentralen Infrastruktur.
AB: Ja und nein. Die Entwicklung der Software ist natürlich eine unsere Kernaufgaben. Und die oben beschriebenen Prozesse in der Kundeninteraktion fallen genau in diesen Bereich. Einen Betrieb zentraler Infrastruktur gibt es bei uns nicht. Alle Systeme liegen in der Cloud bzw. in verschiedenen Clouds. Wir haben kein eigenes Rechenzentrum, keine eigenen Server etc. für den Betrieb der dezentralen Systeme, also Arbeitsplatzsysteme, haben wir ein kleines Team an Bord.
IT-Architektur und -Entwicklung
OJ: Alles in der Cloud? Aktuell lese und höre ich oft, dass ein hybrider IT-Betrieb mit Teilen im eigenen Hause und anderen Services aus der Cloud das für die meisten Unternehmen vorteilhafteste Modell sei. Auch Frank Strecker (Senior Vice President Cloud Partner Products & Ecosystems der Deutschen Telekom) ist davon überzeugt, dass hybride Lösungen Ihre Existenzberechtigung haben wegen z. B. Latency oder Compliance, aber langfristig als Ergänzung der Hyperscaler. Wie kommt es, dass Ihr Euch schon heute komplett für die Cloud entschieden habt? Auf welche Cloud Provider setzt Ihr? Worin liegen für Euch die Vorteile?
AB: Als wir COMPEON gegründet haben und eine Infrastruktur sowohl für die Entwicklung als auch den operativen, sicheren Betrieb unserer Plattform benötigten, lag es für uns auf der Hand, kein eigenes Rechenzentrum aufzubauen. Insbesondere da wir eine hohe Flexibilität benötigten. Die Übung, unsere Systeme selbst zu sizen, einen Kapazitätsforecast auf die nächsten zwei bis drei Jahre zu erstellen, die Systeme zu bestellen, aufzubauen etc. hat sich für uns aus Gründen der mangelnden Geschwindigkeit nicht angeboten. Unser Fokus lag stattdessen auf der Entwicklung der Vermittlungsplattform. Das ist der weitere Vorteil von Cloud Services: Diese liefern nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die komplette Entwicklungsumgebung. Entwicklungs- und Testprozesse mussten wir nicht designen, keine Tools auswählen und gemäß der Prozesse implementieren. Tools und Prozesse werden von unserem Cloud-Provider gleich mitgeliefert. Durch die Nutzung dieser Plattform sind wir somit in der Lage, kontinuierlich zu testen und zu deployen. Wir nutzen hier z. B. die Amazon Web Services und Heroku.
OJ: Continuous Testing und Continuous Integration klingt spannend. Für mich immer wieder schlecht vorstellbar, dass beispielsweise Amazon angeblich mehrere 1000 Updates pro Tag einspielt. Wie viele sind es bei Euch, wodurch wird sichergestellt, dass nichts schiefläuft, wenn ständig Changes gefahren werden?
AB: Testing und Deployment sind automatisiert. Wir arbeiten hier streng nach dem Git-Flow-System, bei dem jedes Feature in einem sogenannten Branch entwickelt wird. Jede Änderung, die in die Code-Basis einfließen soll, muss von mindestens einem weiteren Entwickler im Sinne eines Peer-Review begutachtet werden. Abgenommene Änderungen werden durch automatisierte Tests geprüft und danach direkt auf die Staging-Umgebung deployed. Bei der Handelsplattform von Amazon sind es wirklich so viele Änderungen. Wenn Du mal einen Wackler im Screen beobachtest, während Du bei Amazon gerade etwas suchst oder bestellst, dann wurde meist ein kleines Update eingespielt.
OJ: Ihr nutzt AWS- und Salesforce-Services. Viele Kunden, die ich kenne, nutzen auch Salesforce für CRM. Die Salesforce-Lösung liegt in der Salesforce-Cloud und wird mit den eigenen Systemen, oft mit einem eigenbetriebenen ERP-System verbunden. Ist es kompliziert, Salesforce an Anwendungen anzubinden, die gar nicht im eigenen Hause liegen, sondern auch in der Cloud? Darüber hinaus: Unternehmen nutzen oft hybride Cloud-Infrastrukturen und müssen dann das Service Management für alle Umgebungen konzipieren, wie in Abb. 2 dargestellt. Wie sieht das bei Euch aus?
AB: Nein, die Anbindung ist gar nicht kompliziert. Vielleicht wäre es schwierig, wenn wir viele verschiedene Cloud-Anbieter nutzen würden und alle eigenen Systeme angebunden werden müssten. Das ist bei COMPEON aber nicht so. Die Anwendungen in der AWS-Cloud sind über eine API mit Salesforce verbunden, sprechen direkt miteinander. Dort kaufen wir Services ein, auf deren Service Level unsere eigenen Services aufbauen.
OJ: Ah, Ihr müsst also nicht alles miteinander verbinden, sondern koppelt Anwendungen wie Salesforce an Eure Systemlandschaft bei Amazon. Aus meiner Sicht sind KI, Big Data, IoT und Social Media Integration aktuell die wichtigsten technologischen Trends. Welchen Stellenwert haben diese Technologien für Euer Geschäft?
AB: Wir haben früh damit angefangen, ein Data-Science-Team aufzubauen, das auf Basis unseres Geschäftsmodelles und allen Daten Modelle entwickelt, die uns bei Vorhersagen und Automatisierung maßgeblich unterstützen. Mit unserer Plattform sind alle Daten zentral an einem Ort gespeichert und jeder Mitarbeiter kann jederzeit darauf zugreifen. Social Media Integration findet bereits statt, so kannst du uns nicht nur über die Website erreichen, sondern auch über relevante Social-Media-Kanäle – ein Novum im Firmenkundengeschäft. Im Bereich IoT forschen wir aktuell, wie wir beispielsweise Anlagen, die über uns finanziert worden sind, in einen pay-per-use Modell oder in andere innovative Angebotsfindungen aufnehmen können. Darüber hinaus ist natürlich die Blockchain und deren Disruptionskraft im Finanzierungsumfeld extrem spannend, aber das wäre ein eigenes Interview für sich.
OJ: Alex, Du hattest mir mal erzählt, dass Du nach vielen Jahren Beratung jetzt die Chance hattest, all die Dinge, die Du zuvor immer nur teilweise einsetzen konntest, ganzheitlich zu implementieren. Welche Erfahrungen hast Du vorher gesammelt, um zu dem heutigen Lösungsansatz zu kommen?
AB: Aufbauend auf der Plattform-Strategie verfolge ich bei uns klar die „Keep-All-Data-In-One-System“-Devise. Etablierte Unternehmen leiden oftmals an einer Vielzahl von IT-Anwendungen mit teils Überschneideden Funktionalitäten und Zuständigkeiten. Diese sind nicht nur schwer wartbar, sondern verhindern auch die intelligente Nutzung der darin befindlichen Daten. Die Reduzierung von IT-Systemen bzw. die Vermeidung von sogenannten IT-System-Zoos ist ein wesentliches Element meiner IT-Strategie.
OJ: Auf dem Weg zu einer funktionsfähigen digitalen Plattform gibt es sicher Hürden und Stolpersteine. Welche musstet ihr überwinden?
AB: Die große Herausforderung bei neuen digitalen Geschäftsmodellen ist ja, dass es bisher nichts Vergleichbares gab. Demzufolge gibt es auch keine passenden Lösungen am Markt, die man sich einkaufen und mehr oder weniger einfach customizen kann. Einen neuen eCommerce-Shop aufzuziehen ist heutzutage Systemseitig relativ einfach, da es bereits viele und gute etablierte Anbieter und Systeme am Markt gibt. Beim Aufbau eines Modelles wie in unserem Fall war dieses nicht der Fall, hier mussten wir in der Vergangenheit bei der Auswahl von Anbietern und Systemen sicher einige Hürden überwinden.
IT-Infrastruktur und -Betrieb
OJ: Cloud Services sind bei Euch viel mehr als IaaS. Dennoch eine Frage zum Thema IT-Infrastruktur. In den letzten Jahren habe ich in den IT-Medien zwei konkurrierende Themen als Trends gesehen, die aber immer unabhängig voneinander betrachtet und nicht verglichen wurden: (Public) Cloud Services und Hyper Converged Infrastructures (HCI). Anbieter von HCI-Infrastrukturen werben in Teilen damit, dass ihre Infrastrukturen die gleichen Vorteile hinsichtlich Automation, Betriebsführung und Personalaufwand bieten wie beispielsweise AWS – und das zu niedrigeren und besser kalkulierbaren Kosten. HCI-basierte Private Clouds stehen damit in Konkurrenz zu Public Cloud Services. Aus eigenen Projekten weiß ich, dass HCI sowohl hinsichtlich Skalierbarkeit, Bereitstellungszeiten und Verfügbarkeit maßgebliche Vorteile gegenüber traditionellen Systemen bietet. Eine umfassende Gegenüberstellung fehlt mir bislang. Daher die Frage: Habt Ihr die Nutzung von HCI auch in Betracht gezogen? Wenn ja, warum habt Ihr Euch dagegen entschieden?
AB: Bei der Evaluation einer geeigneten Lösung haben wir uns verschiedene Cloud- und HCI-Anbieter angeschaut. Ich gebe dir Recht, viele HCI-Anbieter haben in den letzten Jahren massiv aufgeholt. Maßgeblich für unsere Wahl war die Tatsache, dass große Cloud-Anbieter weiter eine enorme Innovationskraft und Geschwindigkeit bei neuen Produkten und Features haben. Auch das gesamte Tooling rund um DevOps ist maßgeblich auf die großen Cloud-Anbieter ausgerichtet.
OJ: Viele IT-Organisationen sind unterteilt in einen Entwicklungs- und einen Betriebsbereich. Hast Du neben den Entwicklern auch ein Betriebsteam? Oder wendet Ihr DevOps Verfahren an?
AB: Nein, es gibt kein Betriebsteam. Aufgrund unserer Entwicklungsverfahren und der stabilen Plattform unserer Cloud Provider benötigen wir kein Application Management Team.
OJ: Heißt das, Deine Entwickler arbeiten im 24/7-Schichtbetrieb oder einige haben stets Rufbereitschaft, falls nachts einmal ein Ausfall ist?
AB: Durch die Cloud-Anbieter hat man eine enorme Ausfallsicherheit im Infrastruktur-Layer. Falls es zu einem Ausfall kommt, wird dieser durch die jeweiligen Teams der Cloud-Anbieter schnell gelöst (Restart und Recovery). Ausfälle oder Probleme im Anwendungsbetrieb lassen sich durch das oben beschriebene Verfahren auch größtenteils eliminieren. Falls es doch einmal zu einem Ausfall kommt, werden die Kollegen per E-Mail informiert.
OJ: Reicht das denn aus, E-Mail? Nachts und am Wochenende werden die Mitarbeiter diese vielleicht gar nicht lesen.
AB: Ja, das reicht vollkommen aus. Alle Änderungen, die wir einspielen, werden vor dem Deployment von mehreren Kollegen (Peer-Review) geprüft, sodass die Anwendungen stabil laufen. Unsere Systeme sind in Summe auch deutlich weniger komplex als beispielsweise ein Kernbankensystem.
OJ: Ich muss bzgl. der Organisation nochmal genauer fragen. Um bestehende Organisationen mit Marktdaten zu vergleichen und Personalstärken sowie Kostenstrukturen zu analysieren, nutze ich gerne Schichtenmodelle wie zum Beispiel das Gartner Technology Domain Framework. Abb. 4 zeigt eine vereinfachte Darstellung für die Aufteilung des Personals auf die Bereiche Infrastruktur, Anwendung und cross-funktionale Rollen. Deinen Ausführungen entnehme ich, dass Du von diesen Bereichen das Thema End User Services besetzt hast. Die Organisation hast Du sonst nach anderen Kriterien strukturiert. Rechenzentrum-, Netzwerk-, etc.-Teams benötigt Ihr nicht. Richtig?
AB: So habe ich das noch nie betrachtet. Aber ja: Ich brauche keine Teams für das Netzwerk Management, den Infrastrukturbetrieb oder den Anwendungsbetrieb. Dafür leistet mein Anwendungsentwicklungsteam mehr als nur Anwendungsentwicklung. In den interdisziplinären Teams gibt es Product Owner, die das Bindeglied zwischen den Teammitgliedern darstellen. Meine Teams sind nach fachlichen Themen und nicht nach Layern aufgestellt. Ein Team, wie zum Beispiel mein Web Content Team, ist für seine Systeme bzw. den geforderten Service vollumfänglich verantwortlich. Für die Leistungen der Cloud-Anbieter, auf denen der Service basiert, ebenso wie für Architektur, Weiterentwicklung des Service und die im Thema laufenden Projekte.
OJ: Wow, das ist eine große Veränderung! Nun zu den Rollen. Wie verändert sich hier der Skill-Mix? Welche Rollen werden nicht mehr benötigt? Welche neuen Rollen gibt es?
AB: Ich denke, dass Infrastrukturaufgaben und „Admin“-Aufgaben immer weiter zurückgehen werden. Dafür wird die Rolle des DevOps, also einem Allrounder, der sowohl Fähigkeiten im Entwickeln, Deployment Betrieb und Security hat, weiter an Bedeutung zunehmen. Dass wir bereits früh ein Data-Science-Team aufgebaut haben, hatte ich ja schon erwähnt. Hierin liegt auf jeden Fall die Zukunft.
OJ: Schauen wir uns den IT-Betrieb mal aus der Prozess-Sicht an. Das ITIL-Prozessmodell kennst Du sicher. Wendet Ihr für den Betrieb ITIL-konforme IT-Management-Prozesse an? Gibt es so etwas wie einen Change Management Prozess und ist ein Change Advisory Board implementiert?
AB: Sicher kenne ich ITIL. In meinen vorherigen Jobs haben wir ITIL auch intensiv angewendet. Aktuell benötige ich ITIL nicht voll umfänglich, auch wenn wir es einsetzen. Wir schreiben z.B.: nicht monatelang an Releases, die dann durch Gremien freigegeben werden müssen, weil das Deployment zahlreiche Risiken birgt. Unsere Changes sind eher klein. Unsere Prozesse sind darauf ausgerichtet, dass wir Änderungen kontinuierlich einspielen können. Bei auftretenden Fehlern sind wir aber auch in der Lage, diese Änderungen schnell wieder zurückzunehmen.
OJ: Noch etwas konkreter: Ist ITIL V3 in der Public Cloud anwendbar? Oder gibt es einen neuen Standard, der direkt vom Cloud Provider mitgeliefert wird? Oder nutzt Ihr kein Prozessmodell für den IT Betrieb?
AB: Für den Betrieb und das Deployment von Anwendungen liefern die meisten Cloud-Anbieter einen Standard mit, welcher auch komplett von den Tools, die Entwickler und DevOps nutzen, unterstützt wird.
OJ: Was mich auch noch interessieren würde sind Stabilität und Kosten. Kürzlich hat Stanford-Professor David Cheriton behauptet, dass Public-Cloud-Anbieter wie Amazon Web Services weder günstiger noch stabiler als ein eigenes Rechenzentrum sind. Für StartUps oder Projekte in Unternehmen, bei denen zu Beginn die Anforderungen an die Infrastruktur noch nicht absehbar seien und Investitionen in eigene Dienste wenig Sinn ergäben, sei die Public Cloud sinnvoll. Aber sind die Kinderkrankheiten überstanden, sollten sich Unternehmen seiner Ansicht nach wieder in das eigene Rechenzentrum zurückziehen. Hierzu habe ich gleich mehrere Fragen an Dich:
A) Seid Ihr mit der Betriebsstabilität im Allgemeinen (ich fasse hierunter mal Verfügbarkeit, Notfallvorsorge, Sicherheitsmanagement zusammen) zufrieden?
B) Habt Ihr die Kosten gegenüber einem Eigenbetrieb verglichen und seid Ihr auch da zufrieden?
C) Last but not least: Plant Ihr irgendwann ein eigenes Rechenzentrum aufzubauen und zu betreiben?
AB: Wir sind mit der Betriebsstabilität aktuell sehr zufrieden. Die Kosten sind in der Tat gleich hoch bzw. sogar etwas höher im Vergleich zum klassischen Hosting, dafür können jedoch nicht genutzte Ressourcen jederzeit heruntergefahren werden. Es gibt de facto keine festgelegten Laufzeiten wie man es bei vielen Anbietern kennt. Der Betrieb und Aufbau eines eigenen Rechenzentrums ist auf absehbare Zeit nicht geplant, weil ich der Meinung bin, dass aufgrund der weiter steigenden Nachfrage von Cloud-Anbietern diese hinsichtlich Features und Innovationskraft HCI-Anbietern immer ein großes Stück voraus sein werden.
Fazit
OJ: Alex, lieben Dank für die interessanten Einblicke. Im Markt sehen wir bei gewachsenen Unternehmen die Tendenz, IT-Organisationen zu verändern. Durch Digitalisierung entsteht der Druck, neue Aufgaben, die nah an den Geschäftsprozessen liegen, zu übernehmen. Dadurch gehen viele IT-Organisationen hin und lagern einige Dienste aus. Andere lagern die komplette Infrastrukturschicht aus. Manche versuchen, ihre IT möglichst durch modulare SaaS Leistungspakete zu ersetzen. Hier finde ich die Bezeichnung „Plug & Play“-IT ganz treffend. Im Grunde ist das ja auch die IT-Strategie, die Ihr bei COMPEON verfolgt, oder? Wobei, unser Gespräch hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass Ihr so nah am Business oder besser so sehr das Business selbst seid, dass der Begriff IT-Strategie hier gar nicht mehr zutreffend ist.
AB: „Plug & Play“-IT hört sich ein wenig zu einfach an. Was haben wir gemacht: Wir haben uns überlegt wie wir am schnellsten und flexibelsten unsere Vermittlungsplattform aufbauen können. Dabei war für uns sehr schnell klar, dass bei einem eigenen Rechenzentrum und eigenem Infrastrukturbetrieb der Aufwand zu hoch gewesen wäre. Von daher: Für die Infrastruktur stimme ich dem Plug & Play-Modell zu. Bzgl. der Anwendungen nutzen wir auch SaaS, sofern es möglich ist. Aber das Herzstück unserer Anwendungslandschaft entwickeln wir selbst – und genau hierdurch entsteht ein Mehrwert für unsere Kunden. Das Thema IT-Strategie schwang ja in unserem Gespräch schon mit. Hierbei ist mir aufgefallen, dass wir keine niedergeschriebene IT-Strategie haben. Sicher kann man aus unserer Landschaft eine Strategie herauslesen, diese ist durch die Geschäftsstrategie von COMPEON entstanden. Auch die Planung der IT-Projekte für das nächste Jahr ergibt sich aus unserer Geschäftsplanung, d. h. ich stimme Dir zu – wir haben keine eigenständige IT-Strategie, sondern das Digitale Unternehmen COMPEON hat eine Digitale Geschäftsstrategie, in der der Plattformgedanke und damit auch die IT eine maßgebliche Rolle spielt.
OJ: Was für ein schönes Schlusswort!